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   gedichte, quer-durch-wetzlar...

     aus 'Wetzlar für Quereinsteiger' und unveröffentlichtem Material








Jack

(aus: Wetzlar für Quereinsteiger)

Wetzlar steckt voller Überraschungen. Dass Jack (der Ripper)
hier einst den praktischen Teil seines Abschluss-Examens versemmelte, will heute
keiner mehr in Wetzlar wahrhaben. Vernehmet also die Ergebnisse meiner Recherche
(am Besten natürlich am Originalschauplatz genossen).





D i e Live-Musik-Institution, auch über Mittel-Hessen hinaus:

Das Franzis

Ungelenke Graffitis entlang Barackenwand,
Zeugen unkonventionellen Geist's,
der dies' erschafft' mit lock'rer Hand
und dies' erhält, ...zumeist!
Am Hort von Freigeist und Toleranz,
freier Liebe und Ausdruckstanz.

Der Treffpunkt für Nomaden, Normalos, Spontis und Spinner.
Für Musikliebhaber war dies' schon immer
der Ort, an dem sie hochlebt, die Kunst,
auf die die Gemeinde voll abfährt im Dunst,
der zuckend' Leibern extatisch entstieg,
wenn zappelnd sie sich im Takte gewiegt.

Zeitgeist-entrückte Institution,
auch von ganz Großen beehrt, eigentlich fast immer schon.
Früher oder - wahrscheinlich - später schlagen sie alle im Franzis auf.
Uns bleibt von daher reichlich Zeit uns zu freu'n schon jetzt darauf.

Bis dahin fassen selbst die Rebellen sich in Geduld,
hier sind sie vollzentriert und gänzlich ausgeglichen.
So kommen sie zusammen an der Stätte ihres Kults,
mit lichtem Haarkranz, mickrigem Zöpfchen, die Anhängsel verblichen.
Individuell betont oder zum Rudel verdichtet,
jedenfalls zeitlebens dem Revoluzzertum verpflichtet.

Am Pilgerort für Anspruchsvolle,
dem Treffpunkt auch für Sehnsuchtstolle.
Deinesgleichen Du hier findest,
selbst wenn eh'r Du fest gegründet
auf Hippietraditionen
und Freigemeinschaftswohnen.

Die wildesten Jahre, auch sie längst ergrauten.
Doch Vorlieben überlebten
bezüglich Leuten und auch Lauten.
Vüllig abgespaced so manche hier wiederholt entschwebten.

Bühne echter Musik-Meister, Zuflucht unverstandener,
ausgebuffter Weltenwanderer,
und solcher, die schlicht sich treiben lassen wollen.
Für Alle geht's hier in die Vollen...

Auf dass das Franzis uns verbleibe,
uns lang' noch biete eine Bleibe.
Beschleunigt der Wetzlar-Frühvergreisung
Entscheidendes entgegensetzt. Welch' paradiesische Verheißung!

Oktober 2012


Der Keller der Adler

(aus: Wetzlar für Quereinsteiger)

Wann immer ich aus dem Fenster schaute, schaute ich auf das im Folgenden skizzierte Etablissement, das entsprechend häufig meine Gedankenwelt beseelte.




Reine Statussymbolik:

Su-Leica

Was nützt dir die allertollste Leica,
wenn kreativ nichts aus dir dringt.
Obwohl, ein bisschen Neid bei Ander'n
zu wecken dir sicher auch ohne gelingt.

Im Weglassen besteht halt die ganz hohe Kunst.
Wenn folglich die Erkenntnis dich übermannt,
es mangelt dir selbst am fadenscheinigsten Dunst:
Gut sichtbar das Kästchen mit dem berühmten roten Punkt in der Hand
und selbst du als Obercrack wirst umgehend erkannt.

So promenierst du stolz mit deiner Leica,
unterstützt durch möglichst attraktive Suleika.
Das ist's was nachhaltig dich wertet auf, in der Kombi sogar sehr.
Im BMW-Cabrio kommen viele Möchtegerns fett daher...

Versuchst motivisch also du dich an deiner Suleika,
deutest lässig nur an was das Gerät alles kann.
Sind die Bilder nicht scharf, du bist's allemal.
Suleika wird's begrüßen wenn du stehst deinen Mann.

Wetzlar, Juli 2013


Umrahmt von Biergärten und Weindorf, sorgt das Lahnwehr für Abwechslung selbst auf dem Fluss:

Wehrhaft

Fortwährend gischtet es, grummelt und seufzt,
abhängig davon wieviel Wasser läuft
über seine geschundenen Flanken.

Vom Zahn der Zeit schon arg gebeutelt,
tief-schrundig ergraut seine spröden Häute,
gerät das Wehr doch nicht ins Wanken.

Gefasst und aufgestaut erfährt die Natur
am Lahnwehr eine drastische Korrektur.

Nur Gänse, Enten, Reiher, Fisch
genießen den gedeckten Tisch;
wobei der Fisch ganz eigentlich
nicht wirklich darauf ist erpicht
von irgendwem gespießt zu werden.
Doch wer hier glaubt hier durch zu müssen, riskiert hier auch zu sterben.

Geschunden durch Betonkontakt,
wähnt er sich schon durch's Katarakt.
Zerkratzt an seinen Rändern,
benommen er grad' nichts bemerkt, könnt's schlicht auch nicht mehr ändern...

Der große Weiße majestätisch weilt auf dürrem Bein in dickster Gischt
und schnappt sich den geschund'nen Fisch,
der teilenthäutet, filettiert
des Reihers Speiseplan nun ziert.

Vegan hingegen die Entenmänner, die ausgiebig bemüht
dem Druck des Wassers nicht zu weichen, der auf dem Wehre ihnen blüht,
wo frischeste Salate werden gern gegründelt,
die massenhaft dort steh'n gebündelt.
Am leckersten die Leckerbissen
genau in jenem Teil der Strömung, wo sie besonders ist gerissen.

Das Erpelbattle dient allein nicht dem Erwerb von den Salaten,
es schafft auch Anseh'n bei den Nixen,
die, tief beeindruckt von derart furchtlos' Gründeltaten,
hingebungsvoll schnattern, flattern und giecksen.

Die Nilgäns' - souverän - ersparen sich jeden Hype.
Sie laufen außer Konkurrenz.
Nofretete, Ramses, Tut-ench-Amun, die ganze Prominenz
der Ahnen ist ihnen geschrieben auf den bunten Leib.
Sie wissen, allein in der Ruhe liegt letztlich auch die Kraft,
die Anseh'n, Nimbus, nicht für den Moment, sondern für Generationen schafft.

Gern gesehen sind sie hier nicht, die inzwischen ständigen Gäste,
auch wenn sie frische Impulse in den Wehrbereich bringen,
mit dem gewissen Schuss Exotik, auf's Bunteste und Beste.
Möge die Toleranz gegenüber Andersartigkeit wenigstens hier irgendwann überaus bereichernd gelingen...

Wetzlar, Januar 2015


Akropolis, Adieu?

(aus: Wetzlar für Quereinsteiger)

Im Folgenden eine Huldigung meiner Stammkneipe, die ungewöhnlichen bis völlig abgedrehten
Typen schon immer ein Zuhause bot. Wenn auch etwas in die Tage gekommen, steht sie hier doch
ziemlich einzigartig da. Und dies' Gedicht hängt als 'Glaubensbekenntnis' gut sichtbar im Schankraum.
Eine Ode an Freiheit und Toleranz, wenn auch nur im Kleinen.





Die Lahn und die Alte Lahnbrücke, in romantischer Hinsicht eine ungeschlagbare Kombination, wenn auch...

Ein ungleiches Paar

Nach langem, ausuferndem Schlingern
durch Sumpf und Morast ihrer Au'n
entschließt sie sich, obwohl inzwischen versierter Swinger,
zu lustvollem Zwischenspurt bei allerbester Laun'
in geradlinig-hingebungsvollem Fließen.
Urplötzlich überhaupt nicht mehr gelangweilt wie die ganze Zeit schon seit Gießen!

Nur noch kurz angetäuscht eine allerletzte Schlinge,
dann endlich die Zielgerade erreicht.
Noch ein Wehr überpurzelt samt allen mitgeschleppten Dingen.
Die Stimmung zusehends hebt sich. Um's feuchte Herz wird's ihr ganz leicht.

Und schließlich gibt's kein Halten mehr: sehr viel rascher sie nun gleitet
in ausgelassener Vorfreud' auf dem allerletzten Stück,
weil begeisterter Empfang ihr wohl auch diesmal wird bereitet
in Wetzlar an der Alten Lahnbrück'.

Hier finden sie endlich wieder zusammen,
um aufzunehmen den schmerzlich lang unterbrochenen Tratsch.
Zu erzählen haben sie immer, die Damen.
Beherrschende Themen trotz hohen Alters: VIPs, Glamour, Lokalpolitik, im weitesten Sinne also Klatsch.

Dabei die Eine streng auf ihre Taille bedacht,
gertenschlank, schier unendlich lang.
Immer dem Anlass gemäß hergemacht,
Stimmungen spiegelnd in ungezähmtem Überschwang.

Im Nebel wie in Chiffon gewandet, bei tiefstehender Sonne ein pailletten-besetzter Traum.
Erdige Farbtöne herrschen vor, von Kitt bis zu unschuldig' Rehbraun.
Ganz selten auch mal transparent, stattdessen meist schwach opak.
In Saphirgrün dann allerdings ist ihr Auftritt besonders stark.

Die Andere, die Brücke, ausgesprochen konservativ.
Stets grau gewandet ist bestenfalls sie ansatzweise mal lasziv.
Unverrückbar gegründet, in keinem Moment gestresst.
Verlässlich, trotzig, Fels in der Brandung, Standhaftigkeits-Manifest.

Trotz einer gewissen Grobheit verseh'n mit Proportionen, die zweifellos gelungen.
Harmonisch ins Gesamtbild sie sich einpasst, ganz erhaben geschwungen.
Das gewichtige Bauwerk gewinnt sogar unerwartete Leichtigkeit,
wenn im pastelligen Tagesverglüh'n
flirrende Lichtreflexe der Lahn in kecker Ausgelassenheit
betanzen ihre kräftigen Schenkel, die frei nun scheinen aller Müh'n.

Wenn dann der Wind völlig erstirbt,
sich sogar Doppel-Brücken erheben
über einem Seidenglanz-Fluss, der wirbt
mit der Brück' für die Stadt. So wie man kennt Wetzlar eben.

Zwei, die Vieles gemeinsam geseh'n und ertragen,
was Anderen längst geschlagen wäre heftigst auf den Magen:
Paddeltouristen, Schiffsverkehr,
Überschwemmung, Feuerwerk,
Herzschmerz und selbst Fernverkehr,
das Ganze alk- und erzbeschwert.
Wasserverschmutzung, Marinekameradschaftssingen,
Fontänen, die phönixgleich zur ewigen Polka springen.

Die geschwätzigen Damen, seit langem fest entschlossen hier
zu einem perfekten Zusammenspiel, sind beständig eine Zier.
Wo sie aufeinander treffen, melodiös-plaudernd und lästernd kokett,
sie durchgehend uns beglücken mit ihrem nie langweilenden Duett.

Wetzlar, Juli 2013


Bergvagabunden

Schwermütig-marines am lahngestreckten Ozean.





Ohne ihre vielen Treppenfluchten wäre die Altstadt ziemlich kalter Kaffee, auch wenn die zwischen den aufgemotzten Hausfassaden oft ein wenig vernachlässigt 'rüberkommen:

Stairways to Heaven

Der Atem pfeift, der Schenkel krampft,
ach wär' der Anstieg schon genommen....
Ist erst der Apfelwein verdampft,
ich nur noch ansatzweis' benommen.

Glücksmomente so wie diesen
nicht verschaffen Felder, Wiesen,
meist gewachsen reichlich platt.
Steile Altstadt-Pfade,
oft getreppt, zum Workout laden.
Schnell ist's vorbei mit müd' und matt.

Und hier setzt ein nun die Betrachtung,
das Hohelied zu mehr Treppenachtung:

Durchsetzt die Altstadt von zahllosen Stiegen.
Paralleluniversum, wenig bekannt.
Nicht autonutzbar, oft steil, verschwiegen,
dämmerschläfrig eingeklemmt, oft nicht einmal erahnt.
Falls jemals sie einen besessen,
ihre Namen schon lange vergessen.

Stiegen, Treppen, vernachlässigt' Facette im Altstadt-Brillant
hielten bisher überraschend aller Modernisierung stand.
Heut' scheinen die Treppen unzeitgemäß.
Wir schonen uns're Muskeln, sei's jene vom Gesäß
und die der Schenkel, Herzen, Lungen.
Autos, möglichst flache Wege... Bequemlichkeiten, seid umschlungen!

Körperspannung, die dich prägte,
schon jahrelang schmerzlich vermisst.
Der schleichende Zerfallsprozess nun mal so angelegt.
Dem Schicksal Du Dich gern ergibst.

Doch bevor sie überbaut,
vergessen überhaupt,
sicherlich es sich noch lohnt
den ganz eig'nen Charme, der ihnen innewohnt,
erneut hervorzukehren, für ihre Nutzung gar zu werben.
Sonst - absehbar - die Altstadttreppen sang-und klanglos könnten sterben.

Ich träumte von durchaus ansehnlich' Pflanzen,
auf Treppenmauern sie üppig rankten,
die Stiegen von Namenlosigkeit befreit.
Auf denen Feste sich feiern lassen.
Läufe auf Treppen, nicht nur in den Gassen,
stärken Waden und Zusammengehörigkeit.

Und falls auch du dich hochkämpfst die Steigung
sprich laut dies' Gedicht..., entsprechend Neigung.

Wetzlar, Dezember 2012


Welch ein Narr !

(aus: Wetzlar für Quereinsteiger)

Tile Kolup, im 13. Jahrhundert ein überaus cleverer Scharlatan, der sich als Kaiser ausgab.
Bevor er nach Wetzlar kam, hatte er schon in Köln und Neuss 'trainiert', anfangs auch mit
beachtlichem Erfolg. An den Wetzlarern biss er sich letztlich aber doch die Zähne aus.





Die Geschichte von Goethe und der holden Charlotte, im unmittelbaren Umfeld des Kornmarktes. Nachdem sich schon jeder an dem Thema versuchen durfte, wollte ich natürlich auch mal.....

Kornmarkt-Geplänkel

Dem jungen Goethe war's Domizil
für die Tage, die er uns schenkte - es war'n nicht soviel - ,
um Praxis-Erfahrung nach dem Juristenexamen
am Reichskammergericht in Wetzlar zu sammeln.

Am Kornmarkt war er wohl etliche Stunden
- wenn wieder mal Lotte in seinem Kopf drehte allerwildeste Runden -
weder zum Studium noch zur Dichtung beseelt.
Die Gute hatte ihm nachhaltig den Kopf samt Zopf gehörig verdreht.
In dieser Zeit ihn vielleicht auch schon tief're Erkenntnisse umweh'n...
wie die Entwicklung seines ausgeprägten Jungmädchen-Gens.

Als Noch-Nicht-Popstar konnt' er sich glücklich schätzen,
Paparazzi-unbelästigt und Facebook-unseziert konnt' unbeschwert er über Wetzlar ätzen.
Als wohlhabender Nobody - wenn auch aus Frankfott -
im Provinznest konnt' frisch er spielen auf,
auf der Suche nach sich selbst und der einen oder and'ren Frau,
vor allem der holden Charlott(e).

Wie bekannt ohn' Erfolg blieb selbst heftigstes Werben.
Sie war bereits vergeben.
Allein seine Freundschaft war ihr ganz' Bestreben.
Sie brach ihm das Herz, er aber wollt' nicht für sie sterben.

Im Kornmarktbereich verbrachten die Zwei
- oft mit Lottes Verlobten - ziemlich viel Zeit.
Zwangsläufig teilten die Herr'n dabei
sich Fräulein Lottes Aufmerksamkeit.

Ob zu Zweit, ob zu Dritt, alles lief scheint's harmonisch
in der ménage à trois, die doch rein platonisch....
Was ihn nicht davon abhielt noch in demselben Jahr
Wetzlar halsüberkopf zu verlassen, weil eben nicht er bei Lotte voll zum Zuge kam.

Wär' er doch länger in Wetzlar geblieben,
hätt' frauentechnisch flexibel sich gezeigt...
Stattdessen der Vorzeige-Romantiker zielstrebig
die Chance auf 'ne Wetzlar-Beziehung vergeigt'.

Doch auch heut' noch gilt für empfindsam' Seelen
sich Leib und Seel' am Kornmarkt zu stählen.
Auf dichterfürstlichen Spuren zu wandeln,
eigene Gedanken mit den seinen zu verbandeln,
hingebungsvoll ihm nachzuspüren
mit vergleichbar'n Marotten, ähnlichen Allüren
ist wahre Goethe-Leidenschaft,
die dichterfürstlich' Erkenntniss' verschafft.

Hier harren Deiner die wohligsten Gefühle
je länger du verweilst desto sicherer das Gewühle
in Dir erstirbt, macht Ruhe sich breit,
öffnen ungeahnt' sich Horizonte weit.

Als Platz mit betonter Verweilqualität -
auch wenn der Optik-Parcour hier mit Langweil'gem quält,
jeder Cabriofahrer betont aufmerksamkeitheischend seinen Parkplatz wählt -
bleibt er eine der ersten Adressen der Stadt.
Wer sich nie auf ihn einließ, erfährt nie was er verpasst.

aus: Wetzlar für Quereinsteiger, 2012





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